Klinische Sportmedizin
ISSN 1617-4658
  Clinical Sports Medicine - Germany
 
Ausgabe 2016
 

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Kurt Tittel

Nachruf

von Prof. Dr. Dietmar Luppa und Prof. Dr. Martin Busse

1 Institute of Sports Medicine, University of Leipzig (Prof. M. Busse, MD)

Nach einem langen und erfüllten Leben ist der Ehrendoktor der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig Prof. Kurt Tittel am 20. August 2016 kurz nach Vollendung seines 96. Lebensjahres verstorben.

Kurt Tittel wurde am 19. Juli 1920 in Lübeck geboren. 1936 zog seine Familie nach Leipzig, wo er 1938 das Abitur ablegte und Medizin studierte. Noch vor Kriegsende konnte er das Studium abschließen und zum Dr. med. promovieren. 1945 bis 1948 absolvierte er eine chirurgische Ausbildung am Elisabeth-Krankenhaus in Leipzig und übernahm danach bis 1950 die Leitung des Stadtkrankenhauses in Markranstädt. Damals wurden die ersten Weichen gestellt für die Sportmedizin, die Kurt Tittels weiteres Leben bestimmen sollte. Angeregt durch die Teilnahme an einer akademischen Turnlehrerausbildung am Institut für Leibesübungen unter Prof. Altrock richtete er am Stadtkrankenhaus Markranstädt eine sportärztliche Sprechstunde ein. In diese Zeit fällt auch der Beginn seiner ärztlichen Betreuertätigkeit, zunächst im Fußball bei der Sachsenauswahl unter dem Trainer Helmut Schön und im Radsport. Die Betreuung der Radsportler wurde 1955 von Siegfried Israel übernommen.

Nachdem gesundheitsbedingt seine bis dahin hauptberufliche Tätigkeit als Chirurg nicht mehr möglich war, stand für Kurt Tittel der Wechsel in die Sportmedizin fest. Im Oktober 1950 folgte er dem Ruf an die zu diesem Zeitpunkt gegründete Deutsche Hochschule für Körperkultur (DHfK) in Leipzig und begann mit dem Aufbau einer Hauptabteilung Sportmedizin mit sportärztlicher Ambulanz. 1951 holte er am Sport interessierte Ärzte zu einer ersten Zusammenkunft nach Leipzig und rief mit Hilfe der Universität die ersten 14-Tage-Sportärztelehrgänge ins Leben. Daneben betreute er über zwei Jahrzehnte Club- und Nationalmannschaften im Handball.

Kurt Tittels Überzeugung, dass die Entwicklung des interdisziplinären Faches Sportmedizin nur bei fester Anbindung an die Mutterwissenschaften der Medizin erfolgreich sein kann, kommt in den Etappen seiner wissenschaftlichen Laufbahn zum Ausdruck. So nahm er neben seinen vielfältigen Aufgaben auf sportmedizinischem Gebiet von 1957 bis 1964 auch die Funktion eines Oberarztes am Anatomischen Institut der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter Joachim-Hermann Scharf wahr. Er erwarb 1961 die Facharztanerkennung für Anatomie und habilitierte sich 1963 mit dem Thema „Funktionelle Anatomie und Biotypologie des Leistungssportlers“. Es folgten 1964 die Anerkennung als Facharzt für Sportmedizin und die Berufung auf die Professur mit Lehrauftrag für Anatomie an der DHfK. 1969 übernahm er den Lehrstuhl für funktionelle Anatomie, den er bis zu seiner Emeritierung 1986 innehatte. Er leitete viele Jahre das Institut für Sportmedizin und das diesem angeschlossene Rehabilitationszentrum in Kreischa. An der Universität Leipzig wurde er zum Mitglied der Medizinischen Fakultät gewählt.

Kurt Tittels wissenschaftliche Leistungen, die in fast 500 Publikationen ihren Niederschlag fanden, bezogen sich vorrangig auf die Anatomie, auf Fragen der sportärztlichen Betreuung und Traumatologie sowie auf die Adaptationen an körperliche Belastungen. Seine Arbeiten zur Adaptabilität des Stütz- und Bewegungsapparates sind sowohl aus medizinischer wie sportwissenschaftlicher Sicht richtungsweisend und von hoher Wirksamkeit in der Sportpraxis. International bekannt wurde er als Autor der 1956 erstmals und bisher in 15 deutschsprachigen und mehreren fremdsprachigen Auflagen erschienenen „Beschreibenden und funktionellen Anatomie des Menschen“. Daneben bleibt Kurt Tittel Generationen von Studenten der Medizin und Sportwissenschaft als passionierter Hochschullehrer im Gedächtnis. Nicht zuletzt hat seine brillante Fähigkeit der anschaulichen Vermittlung des heute allgemein anerkannten räumlich-zeitlichen Zusammenwirkens von Einzelmuskeln bei der Ausführung von sportartspezifischen Bewegungen zum Siegeszug des funktionellen Denkens auf diesem Fachgebiet beigetragen. 

Seine fachliche Kompetenz und seine Ambitionen als Mediziner für den Sport wiesen Kurt Tittel als prädestiniert für zahlreiche nationale und internationale Gremien der Sportwissenschaft aus. Er war langjähriges Mitglied des Exekutiv-Komitees und Leiter der Wissenschaftskommission der FIMS sowie Mitglied im Publishing Advisory Commitee des IOC. Als Mitherausgeber des „Olympic Book of Sports Medicine“ und des FIMS-Journals „The World of Sports Medicine“ hat er die deutsche Sportwissenschaft auf internationaler Ebene repräsentiert. Sein Engagement beim Aufbau der Sportmedizin in Kuba, Vietnam und Indien trugen zur internationalen Anerkennung Leipzigs als einer der führenden Stätten der Sportwissenschaft bei.

Kurt Tittels Verdienste für die Sportmedizin und Sportanthropologie wurden national und international gewürdigt. So wurde er u. a. mit dem Philip-Noel-Baker-Forschungspreis, dem Wissenschaftspreis der Sportakademie der USA und dem Wissenschaftspreis des IOC ausgezeichnet und mit Mitgliedschaften in zahlreichen Gesellschaften der Sportmedizin und Physiotherapie geehrt. 1996 wurde ihm die Ehrendoktorwürde an seiner heimischen Wirkungsstätte, der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig, verliehen.

Die 30 Jahre nach seiner Emeritierung im Jahr 1985 waren für Kurt Tittel alles andere als Ruhestand. Wie eh und je war er auf dem Gebiet der Sportmedizin wissenschaftlich aktiv. Er hielt zahlreiche Vorträge und Gastvorlesungen im In- und Ausland, überarbeitete die Auflagen seines erfolgreichen Lehrbuchs und publizierte weiterhin. Er war Mitglied in Redaktionskollegien, Mitherausgeber der „Sportmedizinischen Schriftenreihe“ und Schriftleiter der Zeitschrift „Die Säule“. Gemeinsam mit Wildor Hollmann hat er die 2008 erschienene „Geschichte der deutschen Sportmedizin“ verfasst. Unter seiner wissenschaftlichen Leitung fanden die interdisziplinären Wirbelsäulenkongresse in Leipzig statt.

Das Lebenswerk Kurt Tittels zu würdigen, heißt den Mediziner und den Hochschullehrer gleichermaßen zur Geltung zu bringen. Er war als Arzt, der er immer geblieben war, auch ein Lehrer mit außergewöhnlichen hochschulpädagogischen Fähigkeiten, der geradezu leidenschaftlich in der Ausbildung der Medizin- und insbesondere Sportstudenten gewirkt hat. Er vermochte die angehenden Sportlehrer und Sportwissenschaftler davon zu überzeugen, dass die Sportmedizin für ihren Beruf von höchstem Stellenwert ist. Seine Persönlichkeit und sein Pflichtbewusstsein sowie seine von eindrucksvoller Gestik begleiteten Vorlesungen und Vorträge hinterließen einen nachhaltigen Eindruck, der nach Jahrzehnten bei seinen früheren Studenten und Zuhörern spontan gegenwärtig ist und unvergesslich bleiben wird.